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Comeback in den Wolken

Der Bau der ersten Hochhäuser markierte den Anbruch der Moderne. Was als technischer Triumph begann, wurde zum Ausdruck von Macht und Ego, schließlich zum austauschbaren Klotz. Mehr als ein Jahrhundert nach ihrem triumphalen Entstehen feiern Hochhäuser ein Comeback als architektonische Kunstform.

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Die Erfolgsgeschichte des Hochhauses begann mit einem Baustopp. Was der Architekt William Le Baron Jenney den Stadtvätern von Chicago vorgestellt hatte, war so revolutionär, dass sie mitten in der Bauphase die Arbeit anhielten und die Sicherheit des Gebäudes persönlich unter die Lupe nahmen.

Jenney hatte einen Sitz für eine Versicherungsgesellschaft entworfen. Der Auftraggeber wollte möglichst viele Büros auf wenig Fläche unterbringen–Jenney ordnete sie deshalb übereinander an. Zehn Stockwerke sollte sich das Gebäude in die Höhe schrauben. Sein Konzept für das Home Insurance Building sah zudem hinter der Fassade eine Metallkonstruktion als Rahmen für das Gebäude vor. Der Architekt erklärte den Stadtvätern, dass das Gebäude durch den Materialwechsel nicht nur feuersicher sei–ein wichtiges Argument nach dem Brand, der große Teile von Chicagos Innenstadt 1871 verwüstet hatte. Zudem hatte es nur ein Drittel des Gewichts anderer Gebäude dieser Größenordnung. Jenney konnte die Stadtväter von seinem Konzept überzeugen. Das 1885 fertiggestellte Home Insurance Building mit seinen 42 Metern Höhe gilt als erstes modernes Hochhaus.

»Ein Hochhaus ist Romantik, Drama, Leidenschaft, Symbol, architektonische Schönheit. Ikone einer Stadt, Gemeinschaft und manchmal eines ganzen Landes«, sagt Architekturkritiker Paul Goldberger.

Monströse Bauten provozieren Regulierung

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Das Hochhaus symbolisierte den technischen Fortschritt Amerikas kurz vor der Jahrhundertwende. Die Erfindung der Sicherheitsfangvorrichtung für Personenaufzüge durch Elisha Otis machte den Bau von Hochhäusern überhaupt erst möglich: Niemand wollte zehn Stockwerke lang Treppen steigen. Die Metallkonstruktion als Rahmengerüst sparte Baumaterial und machte die hohen Bauten leichter, so dass sie nicht so stark in den Boden einsanken. Zeitlich optimierte Arbeitsabläufe und Kräne beschleunigten den Hochhausbau bald zusätzlich. 1902 ragte das bügeleisenförmige Flatiron Building in New York an der Kreuzung von 5th Avenue, Broadway und 23rd Street mit seinen 22 Etagen bereits 91 Meter in die Höhe.

Schnell fanden sich auch erste Kritiker:innen: Das Equitable Life Building maß bei seiner Fertigstellung im Jahr 1915 ganze 164 Meter. Der monströse dunkle Klotz warf einen Schatten auf die umgebenden Häuser, stahl ihnen das Licht und drückte so die Grundstückspreise. Die Straßen von New York verwandelten sich in Häuserschluchten.

Die Kritik wurde so laut, dass die Stadt eingriff. 1916 erließ sie strengere Vorgaben –eine Höhenregulierung stand jedoch außer Frage. Stattdessen mussten sich Hochhäuser künftig nach oben hin verengen, so dass Platz für Licht bliebe. Das »Setback Gesetz« führte zu einer neuen Form des Hochhausdesigns: Die Einführung von Staffelgeschossen stellte sicher, dass Gebäude auf eine neue, elegante Weise in die Höhe wachsen konnten.

Jähes Ende des Hochhaus-Booms

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Die mächtigsten und reichsten Bewohner:innen New Yorks setzten sich mit Hochhäusern ihr eigenes Denkmal. Kaufhauskönig Frank Woolworth ließ von Architekt Cass Gilbert das Woolworth Building planen. Automobilpionier Walter Chrysler beauftragte Architekt William van Alen mit dem Bau des Chrysler Building. Die Bank of Manhattan engagierte H. Craig Severance für den Bau des gleichnamigen Firmen-Hochhauses. Schon bald lieferten sich Severance und van Alen einen Wettlauf um das höchste Gebäude der Welt. In letzter Minute ließ van Alen 1930 eine 56 Meter hohe Metallspitze in Form einer Nadel auf dem Chrysler Building montieren, das damit eine Höhe von 319 Metern erreichte und den Höhenrekord des Bank of Manhattan-Gebäudes übertrumpfte. Schon ein Jahr später wurde es vom Empire State Building überholt, das mit seinen 102 Etagen eine nie dagewesene Höhe von 443 Metern erreichte.

Mit Beginn der Rezession schwand das Geld für teure und hohe Fantasiebauten. Bald konnte sich kaum ein New Yorker Unternehmen die Miete leisten. Das Empire State Building wurde als »Empty State Building« verspottet. Zu allem Überfluss verirrte sich an einem nebligen Samstag im Juli 1945 ein B-25-Bomber in den New Yorker Luftraum und flog in die 78. Etage des Hochhauses. 14 Menschen starben. Das Gebäude widerstand dem Crash und wurde schon am nächsten Tag wiedereröffnet. Und obwohl die New Yorker:innen ihr Wahrzeichen liebten: Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte den Hochhaus-Boom in Amerika jäh ausgebremst.

Erst mit dem Aufschwung nach dem Krieg kam die Wende. Die Wirtschaft prosperierte, größere Bürogebäude und eindrucksvollere Hauptquartiere mussten her. Transparenz war das Trend-Schlagwort der Großkonzerne. So schossen beflügelt von neuen Trends zahlreiche Wolkenkratzer mit Glasfassaden empor, bald als Glaskästen verschrien. »Langweilig und banal« nennt Architekturkritiker Goldberger die Entwürfe.

Neue Impulse von Bürogebäuden

Im Wohnungsbau etablierte sich die Fertigteilbauweise. Die zeit- und kostensparende Bauweise prädestinierte sie für staatlich geförderten sozialen Wohnungsbau. Schnell und günstig gebaute Wohntürme mit gleichförmiger Fassade waren keine herausragenden Prachtbauten mehr. Sie wurden zu seelenlosen Klötzen. Eines der schlimmsten Beispiele: Das Pruitt-Igoe Wohngebiet im US-Bundesstaat Missouri, das ab 1954 die Wohnsituation ärmerer Bürger:innen verbessern sollte. 2800 Sozialwohnungen in 33 Gebäude entstanden, je elf Stockwerke hoch. Streng nach Rassen getrennt. In weniger als einem Jahrzehnt führte das unattraktive Wohnumfeld zu drückendem Leerstand, bald wohnten nur noch arme Afroamerikaner:innen in dem Komplex. Die Bauten wurden 1972 abgerissen. Pruitt-Igoe ist bis heute ein Reizwort.

Auch auf anderen Kontinenten und unter anderen Regierungen trieb der Baustil brutal-ästhetische Blüten. Etwa in der Berliner Karl-Marx-Allee oder mit den zahllosen »Chruschtschowkas« in Moskau – benannt nach Staatslenker Nikita Chrustschow, der mit den Bauten schnell und günstig Wohnungsnot beseitigen ließ. Der Plattenbau wurde zum Symbol zur Uniformierung seiner Bewohner. Kein Platz für Individualität – ganz nach dem sozialistischen Ideal.

Entscheidend neue Impulse kamen Mitte der Siebziger Jahre. Entwürfe der Architekten Philip Johnson und John Burgee dachten das Hochhaus neu: Das IDS Center im US-Bundestaat Minneapolis beeindruckte mit einem 51-Stockwerke hohen Büroturm und einem 19-stöckigen Hotel, zusammengehalten von einem gläsernen Vorbau. »Obwohl es atemberaubend schön war, schien der Entwurf mehr Wert auf die öffentliche Nutzung zu legen als auf die Ästhetik«, sagt Goldberger. Beim Pennzoil Place in Houston setzten die Architekten ein optisches Statement: Zwei trapezartig geformte Türme mit schrägen Spitzen, beinahe wie abgesenst, an der Basis durch Glasbauten vereint. Der Entwurf gleicht einer Skulptur.

Bruch mit uniformer Gestaltung

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Rund um den Globus begannen Architekt:innen Nutzungskonzepte zu überdenken und sich auf die Anfänge zu konzentrieren: Das Hochhaus als Wahrzeichen einer Stadt.

In Paris entstand mit »La Defense« ein ganzer Stadtteil als futuristische Vision. Der Commerzbank Tower dient als Symbol des international bedeutsamen Bankenstandorts Frankfurt und setzte 1997 als erstes »grünes« Hochhaus ein Zeichen. Das Burj al Arab ist mit seinem Segelboot-Design auf einer künstlich angeschütteten Insel unter der unerbittlichen Wüstensonne Symbol für die Extravaganz in Dubai. Die Petronas-Towers in Kuala Lumpur sind mit ihrem einzigartigen Design, das sich an traditioneller muslimischer Bauweise orientiert, ein Ausdruck von Malaysias hart erarbeitetem Status. Das 2012 fertiggestellte CCTV-Hauptquartier in Peking macht das Hochhaus-Design zum dreidimensionalen Erlebnis.

In Schweden setzen derzeit Reinier de Graaf und die Architekten Alex de Jong und Michel van de Kar vom Büro OMA ein kreatives Zeichen: Die Norra Tornen Zwillingstürme entstehen im Stockholmer Stadtteil Hagastaden und sollen Platz für rund 300 Wohneinheiten bieten. Der größere der beiden Türme misst 120 Meter, der kleinere 104 Meter. Umspannt werden sie von einer Beton-Fassade mit Rippenstruktur. Die asymmetrische vertikale Form bekommt horizontal zusätzliche Spannung durch eine Würfeloptik: Betonfertigteile springen abwechselnd vor und zurück, sodass der Eindruck von übereinandergestapelten Wohnwürfeln entsteht. Balkon-Flächen und Wohnbereiche mit großformatigen Fenstern wechseln sich ab. »Die angedachte monumentale Architektur macht Platz für eine häusliche Artikulation«, sagen die Architekten.

Die heterogene Form und die raue Außenhaut der Türme sind Ausdruck von de Graafs Anspruch, mit der gewohnten Uniformität und homogenen Fassadengestaltung bei Hochhäusern zu brechen. Die Rippen-Optik widerspricht gängigen Erwartungen und fesselt den Blick an das Gebäude. Damit dient die Fassade nicht nur als optische Vervollständigung des Entwurfs, sondern als Botschafter: Sinnbild für die Individualität, die sich in den Wohneinheiten verbirgt.

Norra Tornen

Architekt
OMA architects

Ort
Stockholm, Schweden

Fotos
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