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Ins Harz geschlossen

Zur Neuvorstellung der G-Klasse goss Mercedes Benz ein Modell von 1979 in einen riesigen Block aus Kunstharz. Möglich machte das Rekordprojekt ein RECKLI-Produkt.

Mitten in der Eiseskälte von Detroit schien zur amerikanischen Automesse NAIAS im Februar 2018 sogar die Zeit eingefroren zu sein: Eine Mercedes G-Klasse von 1979, eingeschlossen in einen gigantischen Block aus Kunstharz, begrüßte die Besucher vor den Toren der Halle. Die G-Klasse schien mitten in ihrem Element, bergab im Gelände, konserviert worden zu sein – wie ein Insekt, das in Bernstein eingeschlossen wurde. Doch statt eines einzelnen Tropfens Bernstein waren über 40.000 Liter flüssiger Kunstharz notwendig, um die G-Klasse für die Ewigkeit zu konservieren. Der größte Kunstharzguss der Welt zog die Messebesucher in seinen Bann.

Es war nicht das erste Mal, dass die G-Klasse Aufmerksamkeit erregte. Bei den Testfahrten im Jahr 1978 in der Wüste von Tunesien wurde der Geländewagen von den Einheimischen neugierig beäugt. Neun Wochen lang wurde die Mercedes-Schöpfung damals von Fahrprofis unnachgiebig auf Herz und Nieren getestet: In der glühenden Hitze ging es durch den Wüstensand, durch schroffe Felslandschaften und durchs Wasser. Die G-Klasse bestand ihre Feuerprobe als zuverlässiger Geländewagen und kam im Folgejahr auf den deutschen Markt. Offroad-Fans fanden schnell Gefallen an ihr; auch eine Militärversion wurde aufgelegt. 1980 wurde die G-Klasse für den Besuch von Papst Johannes Paul II. in Deutschland eigens zum Papa-Mobil umgebaut – und handelte sich auf dem Weg zur wichtigsten Fahrt ihrer bis dato jungen Karriere prompt einen Strafzettel ein, weil der Fahrer mit ihr eine unerlaubte Abkürzung durch eine Fußgängerzone nahm.

Obwohl über die Jahre mit technischen Neuerungen versehen, bleibt die G-Klasse mit ihren Stärken bis heute unverändert. Dazu gehört auch ihr zeitloses Design. Die starke DNA des Wagens wollte Mercedes zur Präsentation der neuesten Generation kommunizieren. „Die G-Klasse ist etwas Besonderes und liegt uns sehr am Herzen. Für den Launch der neuen G-Klasse nach 39 Jahren wollten wir sicher gehen, dass wir etwas Bedeutsames haben“, sagt Ian James, Head of Marketing für dies Modellreihe bei Mercedes Benz. Die Berliner Agentur antoni entwickelte aus diesem Selbstverständnis die Idee zur Kampagne „stronger than time“. Höhepunkt: Eine für die Ewigkeit konservierte G-Klasse der ersten Stunde.

Doch wie konserviert man ein Auto? Der Deutsche Verband für Materialforschung und –prüfung wusste Rat: Ein Zwei-Komponenten-Kunstharz mit geringem Schrumpfungsverhalten würde das Auto einhüllen, ohne Verformungen zu verursachen. Um die 4,8 Meter lange, 1,9 Meter breite und 1,9 Meter hohe G-Klasse vollständig einzuschließen, brauchte es eine ungeheure Menge an Flüssigharz: Mehr als 52 riesige IBC Kanister Epoxidharz lieferte RECKLI für die Mammutaufgabe – die größte je für ein einzelnes Projekt bestellte Menge.

„Das müssen wir machen“, war der erste Gedanke von Andreas Kleinmann von der Hamburger Werbefilmproduktion Markenfilm. Der Enthusiasmus für das einmalige Projekt wog schwerer als die Skepsis, wie man es bewerkstelligen konnte. Kleinmann und sein Team packten die Herausforderung an: Unter seiner Koordination nahm der Harz-Würfel in einem Labor nahe Hamburg Gestalt an.

Dafür musste das Team zunächst eine Reihe von Tests mit dem Kunstharz durchführen, um seine Eigenschaften genau zu studieren. Beim Zusammengießen reagieren die beiden Komponenten des Harzes miteinander und erzeugen Wärme. „Jeder Guss war ein Krimi für sich“, sagt Kleinmann. „Je größer die Versuchsobjekte wurden – eingegossene Sitze, Armaturen, Fahrzeugtüren – desto mehr mussten wir kämpfen, um die exotherme Reaktion im Griff zu behalten.“ Anhand der Tests ermittelte das Team die Gussgeschwindigkeit und die Stärke der einzelnen Gussschichten: rund 3 Zentimeter pro Lage.

Außerdem war die Errichtung einer speziellen Arbeitsumgebung unumgänglich. „Am Ende hatten wir einen Reinraum, dessen Raumklima komplett von der Außenwelt entkoppelt war“, so Kleinmann. Dazu brauchte es Maßnahmen zur Luftentfeuchtung, Klimaanlagen, Umluft und die permanente Temperaturüberwachung der gesamten gegossenen Masse in allen Winkeln des Fahrzeugs. Das Team aus 39 Arbeitern betrat die Arbeitsumgebung nur mit Schutzanzügen und Masken, um keine Staubpartikel einzuschleppen und sich vor den Dämpfen des Harzes zu schützen.

Auch die G-Klasse durfte keinen Schmutz in sich haben. Sie wurde in beinahe alle Einzelteile zerlegt und umfassend gereinigt, um unkontrollierte Reaktionen mit dem Harz zu vermeiden. Nachdem der Motor eisgestrahlt worden war, wurde das Fahrzeug wieder montiert und auf der Seite positioniert, um es einzugießen. In 90 Gussschichten nahm der Harz-Würfel Gestalt an. Alle 24 Stunden wuchs der Würfel um eine gut 30 Millimeter dicke Schicht. Die 550 Kilogramm schweren Schichten mussten innerhalb einer Viertelstunde gegossen werden ohne Blasen zu verursachen. Blasen zu entfernen, die sich an Polstern, am Unterboden, am Teppich oder zum Beispiel im Türinneren gebildete hatten, war eine der Hauptaufgaben für das Team. Gleichzeitig mussten die Techniker für konstante Klimabedingungen sorgen. „Nach der eigentlichen Reaktion musste der Guss immer wieder auf seine optimale Ausgangstemperatur für den nächsten Guss gebracht werden. Dann konnte die nächste Schicht vorbereitet werden“, erzählt Kleinmann. Mit jeder Schicht wuchs auch die Schalung Brett für Brett in die Höhe. Nach dem Entschalen wurde der mit leichter Übergröße produzierte Würfel mit einer Diamantseilsäge auf seine finalen Maße gebracht und anschließend poliert.

Nach insgesamt 8892 Arbeitsstunden war es vollbracht: Die G-Klasse steckte in einem 3,10 Meter mal 2,55 Meter mal 5,5 Meter messenden Harzwürfel. Anschließend galt es, den Kubus aus dem Labor zu bugsieren und auf Weltreise zu schicken: Von Hamburg aus wurde der 52 Tonnen schwere Amber Cube über South Hampton ins amerikanische Baltimore verschifft und von dort aus nach Detroit transportiert. Doch Detroit ist nicht die letzte Station des Würfels: Er soll auf Weltreise gehen und anschließend ein permanentes Heim finden – wo genau, ist noch ein Geheimnis.