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Ein ungleiches Paar

Der Erweiterungsbau für das Kunstmuseum in Chur scheint ein greller Kontrast zum Haupthaus – hätten die Architekten nicht zahlreiche subtile Parallelen kreiert.

Eindrucksvoll erhebt sich der graue Würfel über den Platz an der Bahnhofstraße in Chur. Sein schieres Volumen und die klaren Linien sind imposant, doch simple Gesten verleihen ihm Leichtigkeit. Er hält Abstand von den umliegenden Gebäuden: rechts ein Bürohaus, links ein anmutiger Palladio mit orientalischen Details. Der Würfel ist der Erweiterungsbau der benachbarten Villa Planta, die ein Museum beherbergt. Ein grauer Monolith neben einer prunkvollen Villa – wie kann das funktionieren?

Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga haben mit dem Erweiterungsbau für das Bündner Kunstmuseum in Chur einen Entwurf abgeliefert, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ohne sich permanent in den Vordergrund zu drängen. Ihr Bau besteht stolz neben dem nicht minder beeindruckenden Hauptgebäude, ohne mit ihm zu konkurrieren. „Wir wollten eine Erweiterung mit eigener Identität und Charakter“, sagt Alberto Veiga über die Herangehensweise der Architekten. Subtile bauliche Details stellen eine Verbindung zum Hauptgebäude her und zollen ihm Respekt.

Die Villa Planta ist der Stammsitz des Museums, das zunächst als Wohnhaus eines Kaufmanns diente. 1874 bis 1876 wurde die Villa nach den Plänen des Architekten Johannes Ludwig gebaut. Ludwig – ein Autodidakt, der sich vom Maurer und Zimmermann zum Architekten fortbildete – entwarf den Bau für den Baumwollindustriellen Jacques Ambrosius von Planta. Der Kaufmann hatte sein Vermögen mit Geschäften in Ägypten gemacht und fand Gefallen an ausländischen Baustilen. Er bat Ludwig um einen Bau nach dem Vorbild venezianischer Palladios und um orientalische Details. Deshalb beeindruckt die Villa Planta mit reichem Fassadenschmuck, sphinxähnlichen Skulpturen an der Haupttreppe, einem imposanten Eingangsportal und reicher Innenausstattung samt einem überkuppelten Atrium.

In den mehr als 140 Jahren seit seiner Erbauung wurde das Haus mehrmals umgenutzt und sorgfältig restauriert, zuletzt wurden Umbauten für die Brandsicherheit des Museums vorgenommen. Über die Jahre kam ein Erweiterungsbau für die Kunstwerke hinzu, der mittels eines Glasgangs an die Villa angeschlossen war. 2011 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, um den bestehenden Erweiterungsbau durch einen neuen, moderneren zu ersetzen. Das Büro Barozzi Veiga konnte die Ausschreibung für sich entscheiden. „Ihr Projekt überzeugt durch die präzise und klare Setzung in das architektonische Umfeld“, urteilten die Museumsbetreiber.

Das gelang den beiden Architekten, weil sie den Bestandsbau genau studierten. „Es ist eine sehr interessante Kopie eines Palladios, im Inneren voller Ornamente. Die Idee des Ornaments war allgegenwärtig in Chur“, sagt Veiga. Er und Barozzi wollten für die Ausschreibung einen Entwurf abliefern, der über die bloße Erfüllung der Anforderungen an den Bau und den Entstehungsort hinausging. Das Ornament ließ sie dabei nicht los. „Die Idee des Ornaments bedeutete, dem Entwurf das entscheidende Detail zuzufügen“, so Veiga.

Daraus entstand die reliefartige Fassade mit einem wiederkehrenden simplifizierten Ornament. Das quadratische Element greift die Form des Baukörpers auf, als Relief angelegt verleiht es ihm Tiefe und Leichtigkeit. Die Fassade ist es, die den Bau so einzigartig macht. „Ohne das Ornament würde das Volumen ganz anders wirken“, so der Architekt. Es schafft eine Verbindung zwischen dem Neubau und der Villa.

Einen klaren Kontrast zum Stammhaus setzte das Architektenduo hingegen in der Gestaltung der Innenräume: Insgesamt ist das Innere sehr zurückgenommen, Schilder wurden nur dort angebracht, wo sie unbedingt nötig sind. Das Treppenhaus ist in grauem Sichtbeton gehalten, die Ausstellungsräume sind hingegen weiß. Die Räume sind so um das Treppenhaus heran angeordnet, dass der Besucher vom Neubau allmählich zum Stammsitz geführt wird.

Der Innenraum verzichtet auf Pomp und Ornamente, um die Ausstellungsstücke wirken zu lassen und dem Besucher Raum zum Reflektieren zu geben. Erst eine schmale, steile Treppe führt aus den neuen Ausstellungsräumen in die Villa, die den Besucher mit farbigen und üppigen Kontrasten grüßt. Er taucht aus den zurückhaltenden, modernen Räumen auf in die detailreiche, historische Welt des Stammhauses.

Mit seinen klug gewählten Zitaten und der stolzen eigenen Haltung ist der Bau von Barozzi Veiga mehr als nur die Erweiterung der Villa Planta: er ist ihre Bereicherung.

Fotos

© Marcela Veronica Grassi