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Verwandlung im Quadrat

Mannheim will das schnöde Nachkriegsimage überwinden und mit architektonischer Vielfalt punkten. Für die Stadtplaner Chance und Herausforderung zugleich: Sie widmen sich Konversionsflächen, Shoppingmeilen und Problembezirken.

Mannheim ist Liebe auf den zweiten Blick. Das geben selbst Mannheimer zu. Eingekesselt zwischen dem pittoresken Heidelberg, dem schmucken Worms und dem schönen Speyer ist Mannheims architektonischer Glanz erst auf den zweiten Blick erkennbar.

Das soll sich ändern. Die Stadt an Rhein und Neckar sieht sich einer stadtplanerischen Mammutaufgabe gegenüber: Mit dem endgültigen Abzug des US-Militärs werden in Mannheim über fünf Millionen Quadratmeter Fläche frei, die zu zivilem Wohnraum umgestaltet werden. Dazu gehören etwa das Franklin-Quartier, die Spinelli- und die Coleman-Barracks: über 400 Hektar sind die Flächen groß. Ihre Umgestaltung zu zivilem Wohnraum wird das Gesicht Mannheims neu prägen. Dazu kommt die Herausforderung, die Infrastruktur neu zu planen und Naherholungsmöglichkeiten zu schaffen.

Denn Mannheim wächst. Derzeit leben inmitten der Metropolregion Rhein-Neckar etwa 300.000 Menschen. 2035 sollen es 338.000 Bewohner sein, schätzt Klaus-Jürgen Ammer von der Projektgruppe Konversion bei der Stadt Mannheim. Allein im Franklin-Quartier entstehen 4.500 neue Wohnungen für etwa 9.000 Menschen.

Neben den zahlreichen Konversionsarealen werden auch Gewerbeflächen und Shoppingmeilen entwickelt. Zwischen dem Ehrenhof des Mannheimer Schlosses und der Kurpfalzstraße liegt die hufeisenförmige Innenstadt. Mannheim wurde als Planstadt Anfang des 16. Jahrhunderts von Kurfürst Friedrich IV. angelegt. Seit einer Stadtreform Ende des 18. Jahrhunderts sind die sogenannten Mannheimer Quadrate auch die Adressangaben.

Die Fassade als Verbindungsstück

Die Innenstadt ist eine der umsatzstärksten Einzelhandelsflächen Deutschlands. Ein Bauvorhaben hat dort in den vergangenen Jahren für Aufsehen gesorgt: Das Stadtquartier Q6 Q7 wurde von der Unternehmensgruppe DIRINGER & SCHEIDEL entwickelt und realisiert; heute gehört es zum Portfolio von BMO Real Estate Partners Deutschland. Über sechs Stockwerke ragt es entlang der Fressgasse auf. Es erstreckt sich über zwei Quadrate, die mit einer Glasbrücke verbunden sind. Dass es sich so gut in die bestehende Architektur einfügt, liegt auch an der Fassadenarchitektur: Oberflächenstrukturen und Materialien wechseln sich ab. Glasfenster, sandfarbene Betonwerksteinplatten, mal mit einer feinen Knitterstruktur, mal in glatter Optik, Basaltlava- und Kalkstein wurden miteinander in Verbindung gesetzt. Die Matrizen für die Fertigteile mit Knitterstruktur wurden von RECKLI produziert.

Die Fassade stellt so eine Verbindung zwischen den angrenzenden fünfund sechsstöckigen Gebäuden her. »Wir entschieden uns für eine lebendig wirkende Fassade, deren Details Aufschluss darüber geben, was sich jeweils dahinter befindet. Die Nutzungen von Wohnen, Arbeiten und Handel, aber auch Fitness und Wellness lassen sich durch architektonische Zäsuren klar unterscheiden«, sagt der seinerzeit beauftragte Architekt Dieter Blocher.

Wie die behutsame Entwicklung eines Gewerbegebiets gelingen kann, zeigen Fischer Architekten anhand der Eastsite in Neuostheim. In den vergangenen 17 Jahren entstanden auf dem Gelände, das früher von der Bundeswehr und einer Jugendverkehrsschule genutzt wurde, zwölf neue Bürohäuser und ein Studentenwohnheim. Alle Gebäude wurden von dem Mannheimer Büro geplant. Die Architekten waren es, die immer wieder neue Impulse gaben, Ideen weiterentwickelten und Investoren überzeugten.

Stadtquartier Q6/Q7

Architekten
DIRINGER & SCHEIDEL

Ort
Mannheim, Deutschland

Design
RECKLI UNIQUE

Fotos:
Johannes Vogt

Leitplatinen als Vorlage

Alle Gebäude haben Sichtbetonfassaden aus Fertigteilen – und doch ist jedes anders: Es gibt geschuppte Fassaden, konkav-konvex ineinander geflochtene Oberflächen. Oder die Fassade von Eastsite VI: Sie besteht aus schwarzen, vorgehängten Platten mit gewaschener Oberfläche und weißen Umrandungen.

Gleich nebenan schließt sich Eastsite VII an. In der Fassade spiegelt sich das Thema digitale Kommunikation gleich doppelt wieder. Einmal durch eine 48 Quadratmeter große Fotobetonfläche der Künstlerin Margret Eicher, die den Eingangsbereich markant definiert. Zusätzlich durch die Oberflächengestaltung der Fassade, die beim Entwurf der Matrize durch den Einsatz von vergrößerten Leiterplatinen erreicht wurde. Dabei kam die glatte und geschmeidige Oberflächenstruktur nur durch Zufall zustande. Beim leichten Rütteln des Betons wurde der Zementleim an die Oberfläche geschüttelt, der die Fassade nun so weich und glatt macht.

Das Team um den Mannheimer Büroleiter Dominik Wirtgen, der an der Fachhochschule Frankfurt Bau- und Betonkonstruktion unterrichtet, entwickelte innovative Konstruktions- und Gestaltungstechniken. Etwa den Textilbeton-Sandwich, der eine kunstvolle Fassade und enorme Material- und Platzersparnis möglich macht. Bei Bauvorhaben in Lagen mit hohen Gewerbeoder Wohnmieten ist das ein großer Vorteil.

Frischer Wind im Viertel

Am augenfälligsten ist der Strukturwandel Mannheims jedoch im Stadtteil Jungbusch. Einst das Hafen- und Handelsviertel Mannheims mit bürgerlichem Lebenswandel und glanzvollen Fassaden verkam es nach dem Zweiten Weltkrieg und dem eiligen und günstigen Wiederaufbau der Stadt, bis es hauptsächlich als Rotlicht-Bezirk bekannt war. Heute leben Menschen aus über 150 Nationalitäten in Jungbusch, darunter auch viele einkommensschwache Familien. Mit Hilfe von Geldern der Europäischen Union wurde in den letzten Jahrzehnten an der Hafenstraße versucht, durch die Ansiedlung von sogenannten Inkubatoren eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Seit 2003 gibt es die Popakademie Baden-Württemberg, danach folgten der Musikpark und das Kreativwirtschaftszentrum C-HUB, in dem 50 Unternehmer ihre Büros haben. In unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber befindet sich der Port25, eine Galerie für Gegenwartskunst.

Inzwischen hat sich der ehemalige Problembezirk verändert. Mit den Kreativen kam frischer Wind ins Viertel. Seit 2004 findet in Jungbusch jährlich am letzten Wochenende im Oktober eine lange Nacht der Kultur statt, der Nachtwandel. Nach und nach wird der Stadtteil wegen seiner Nähe zur Innenstadt für Investoren und Wohnungssuchende attraktiver: Die historische Kauffmannmühle war die erste von sechs Dampfmühlen, die um 1900 Mannheims Aufstieg zum bedeutendsten süddeutschen Mühlenzentrum begründete. Ihre Restauration steckte jahrelang in der Planungsphase fest– doch kurz nach Baubeginn waren alle 32 Lofts verkauft, die im Inneren des Silos entstanden sind. Mannheim könnte bald Liebe auf den ersten Blick werden.

Eastsite, Neuostheim

Architekt
Fischer Architekten

Ort
Mannheim, Deutschland

Design
RECKLI UNIQUE